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Belton Dominick          


Nicht die geringste Chance    (Englisch/Deutsch)


[...]
B.T. Hemmings, der kleine, untersetzte Bankdirektor aus Plantersville, der immer tadellos
gekleidet war und eine Brille trug, erklärte schnell, daß ihm die Qualität des Schulsystems von
Heartland County sehr am Herzen läge. Er hatte vier Söhne im schulpflichtigen Alter und
erwartete, daß sie auf den von ihnen gewählten Gebieten die Besten sein würden. Sie konnten
sich eine unzureichende Grundschul- und High School-Ausbildung einfach nicht leisten. Mr.
Hemmings war daher ganz einer Meinung mit Daddy, daß die Berufung von Schulleitern und
Lehrern nicht auf Vetternwirtschaft, sondern einzig und allein auf den beruflichen Fähigkeiten
der Betroffenen beruhen sollte. Die Sonderausbildung meines Vaters in der Schulverwaltung,
seine klaren Ziele und sein offensichtliches Engagement beeindruckten ihn. Hemmings schien
bereits von Dr. Moseley oder Mr. Grigsby oder von beiden beeinflußt worden zu sein, denn er
sagte einfach: »Ich bin auf Ihrer Seite.«


Wenn Daddy abends nach Hause kam, diskutierte er die Höhepunkte jedes Tages der
aufreibenden Kampagne mit Mutter. So konnte er sich einigermaßen entspannen und nachts
ruhig schlafen. Da sie nicht direkt an seinem Feldzug beteiligt war, konnte sie die Ereignisse des
jeweiligen Tages eher in die richtige Perspektive rücken. An diesem ersten Abend sagte er jedoch
nur, daß Mr. Hemmings für ihn wahrscheinlich sehr nützlich sein könnte, da er eine Menge Leute
in seiner Gewalt hatte.
Der nächste Name auf der Liste von Dr. Moseley und Mr. Grigsby war Dodge Whidden. Mr.
Whidden, der sein Leben lang in Plantersville gelebt hatte, war Besitzer und Herausgeber des
Heartland County Courier. Er war ein konservativer Mann, der stark an Traditionen festhielt. Die
Hose seines Anzugs wirkte an seinem schmächtigen Körper viel zu weit, und die kurzen Ärmel
seines Hemdes reichten ihm bis an die Ellbogen. Mein Vater wußte, daß er mit seinem Ziel, als
Neuankömmling das Amt des einheimischen Alton Morris zu übernehmen, hier vor einer
schwierigen Aufgabe stand. Mit abgewandtem Blick hörte sich Whidden unverbindlich an, was
Daddy zu sagen hatte, und versprach höflich, darüber nachzudenken. Daddy wußte, daß dies mit
einem Nein gleichzusetzen war. »Mit seinen Zeitungsartikeln wird er sicherlich Alton Morris
bevorzugen, das ist schon einmal sicher«, erklärte mein Vater am Ende dieses Tages bei seiner
abendlichen Diskussion mit Mutter.
Die Coles waren die größte Familie in Heartland County, und ihre Vorfahren zählten zu den
ersten Siedlern in diesem Gebiet. Rechtsanwalt Bryant Cole, eine führende Persönlichkeit des
öffentlichen Lebens, hielt nach Meinung von Dr. Moseley und Mr. Grigsby den Schlüssel für das
Wahlverhalten der ganzen Familie in Händen. Der jugendliche, braunhaarige Rechtsanwalt mit
den blauen Augen bot Daddy einen Stuhl in seinem Büro an und hörte sich an, was er zu sagen
hatte. Mein Vater beschrieb seine Qualifikationen und Ideen und fragte Mr. Cole, ob diese
Vorstellungen seiner Meinung nach für das örtliche Schulsystem von Vorteil sein würden. Mr.
Cole bejahte dies und versprach, für ihn zu stimmen. Doch er wollte sich nicht dazu verpflichten,
seine Familie und Freunde zu beeinflussen. »Er will abwarten und sehen, ob ich auf der
Siegerstraße bin. Wenn ich noch etwas in Fahrt komme, besteht die Chance, daß er seine Familie
dazu bewegt, ebenfalls für mich zu stimmen, und das wären eine ganze Menge Stimmen.« An
diesem Abend war Daddy bei seinem Bericht nachdenklich gestimmt. Ihm wäre es lieber
gewesen, wenn er von Anfang an mit den Stimmen der ganzen Familie hätte rechnen können,
aber es war zumindest ein Anfang.
Reginald, der Vater von Lamar Pace, war ein Millionär aus dem nahegelegenen Caldwell County,
der sein Geld mit Zitrusfrüchten gemacht hatte. Vor dreißig Jahren hatte er seinem Sohn mit
einem riesigen Stück Weideland und Vieh in Heartland County zu einem guten Start verholfen.
Aufmerksamkeit gegenüber den kleinen Dingen und harte Arbeit hatten den Besitz von Pace
Junior seitdem um einiges vergrößert. Im Gegensatz zu seinem Vater, der ein Einzelgänger war,
ging Lamar Pace sehr aus sich heraus und zeigte Interesse für öffentliche Angelegenheiten.
Aufgrund seines großen Einflusses war er der vierte und letzte Name auf der Liste von Moseley
und Grigsby. Unter vier Augen umriß Daddy seinen Plan, die Schulen des County in den drei
größten Zentren zusammenzulegen und damit die Ausbildungskosten beträchtlich zu reduzieren.
Er wies auf seine Sonderausbildung in der Schulverwaltung und auf seine Fähigkeiten hin,
vorteilhafte Verträge auszuhandeln. Aufgrund seines riesigen Besitzes kam Mr. Pace durch seine
Steuern für einen großen Anteil an den Kosten des Schulsystems auf, und er zeigte großes
Interesse daran, Verschwendung zu eliminieren und diese Last zu verringern. War er der
Meinung, daß mein Vater in dieser Beziehung einen wertvollen Beitrag leisten könnte? Ja! »Als
ich eintraf, stand er mit einer Gruppe seiner Männer vor einem Lager«, berichtete Daddy an
diesem Abend, »und ich mußte fragen, wer Mr. Pace war. Er ist sonnengebräunt und muskulös
wie ein Arbeiter. Wir gingen in sein Büro, und je mehr ich erzählte, desto mehr Interesse zeigte
er. Er wird für mich stimmen und sicherlich auch andere beeinflussen.«
Anfang Februar hatte mein Vater auf diese Weise die Unterstützung von fünf der einflußreichsten
Männer des County für sich gewonnen. Eine sehr wichtige Person, Verleger Dodge Whidden von
der örtlichen Zeitung, würde wohl Alton Morris favorisieren. Nun stand Daddy vor der
schwierigen Aufgabe, an die übrige Wählerschaft heranzutreten und zu versuchen, mehr als die
Hälfte der Stimmen für sich zu gewinnen. Da er unbekannt war und vom durchschnittlichen
Wähler nicht akzeptiert wurde, würde er bis zur Vorwahl der Demokraten am 4. Mai Tag und
Nacht seinen Feldzug führen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben. Der Gewinner dieser
Vorwahl würde automatisch gewählt werden, da die republikanische Partei 1948 in Heartland
County praktisch nicht existierte. Dr. Moseley, Colin Grigsby, B.T. Hemmings, Bryant Cole und
Lamar Pace würden durch ihren Einfluß hin und wieder Widerstandsnester eliminieren können,
doch mein Vater würde auf viele Wähler selbst zugehen und sie von seinen Fähigkeiten
überzeugen müssen.
Es war von Anfang an eine schwierige und entmutigende Kampagne. Die meisten Menschen
außerhalb des Schulsystems kannten meinen Vater nicht, und diejenigen, die ihn kannten,
wußten, daß er kein Einheimischer war. Am bekanntesten war er bei seinen Kollegen, die jedoch
nicht für ihn sprechen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten, weil sie dann Repressalien des
amtierenden Direktors hätten fürchten müssen.
Anfang März hörte man nach seinen ersten Bemühungen einen Satz, der seine Aussichten
beschrieb und häufig wiederholt wurde, immer wieder: »Der arme Hund hat nicht die geringste
Chance.«
[...]

Aus dem Englischen von Beate Gorman



Belton Dominick


A Dog's Chance     (Englisch/Deutsch)


[...]
B. T. Hemmings, the short, stout, immaculately-dressed and bespectacled Plantersville
banker, was quick to point out that he had a high stake in the quality of the Heartland
County school system. He had four school-aged sons and expected each of them to be
the best in their chosen fields. They could ill-afford to be hampered by inadequate
primary and secondary school preparation. Mr. Hemmings was therefore in full
agreement with Daddy's premise that principalsand teachers should not be selected
based on favoritism or any criteria other than ability. My father's specialized training
in school administration, sense of direction and seeming dedication impressed him.
Hemmings appeared to have been previously influenced by either Dr. Moseley or
Mr. Grigsby or both. He simply said, »I'm with you.«
Daddy discussed the highlights of each day of the grueling campaign with Mother upon
his return at night. It enabled him to wind down enough to sleep and, away from the fray,
she was in a better position to put the day's events into their rational perspective. On this
first night, I only remember him saying that Mr. Hemmings could probably be very useful
to him because he most certainly had a lot of people over a barrel.
The next name on Doctor Moseley's and Mr. Grigsby's list was Dodge Whidden. Mr. Whidden,
a life-long Plantersville resident, was the owner and editor of the Heartland County Courier.
He was conservative and sternly traditionalistic. Because of his slight frame, his dress pants
appeared baggy and the sleeves of his sport shirt reached to his elbows. As a newcomer
trying to unseat homegrown Alton Morris, my father knew that this would be a delicate
assignment. With eyes averted, Whidden listened noncommittally and politely promised
to think about it. Daddy knew that the answer was »no«. »He's going to be slanting his lines
Alton Morris's way, that's for sure,« I remember my father saying in his nightly debriefing
with Mother.
The Coles were the largest family in Heartland County and their ancestors were among the
early settlers of the region. Attorney Bryant Cole, one of the community leaders, was
considered by Doctor Moseley and Mr. Grigsby to hold the key to the family vote. The
youthful, brown-haired, blue-eyed lawyer offered Daddy a chair in his office and listened.
My father stated his qualifications and ideas and asked Mr. Cole if he thought that these
would be of benefit to the County school system. Mr. Cole answered in the affirmative and
promised his vote. He stopped short of a commitment to influence his family and their friends,
however. »He wants to wait and see if I'm going to have a shot at winning. If I can get up some
momentum, there's a chance that he'll deliver the whole block for me. That would be quite a few
votes.« Daddy was thoughtful as he gave this report that night. He would much rather have had
the full commitment at the outset but at least that was a start.
Lamar Pace's father, Reginald, was a citrus millionaire from nearby Caldwell County. Thirty
years before, he had set his son up in Heartland County with a vast spread of pasturage and
cattle. The younger Pace's attention to detail and hard work had since increased these
holdings substantially. Unlike his father, who was a loner, Lamar Pace was gregarious
and civic-minded. Because of his wide sphere of influence, his was the fourth and last
name on the Moseley-Grigsby list. In confidence, Daddy outlined his plan to consolidate
the County schools in the three main population centers and cut the costs of education
significantly. He also pointed up his special training in school administration and ability
to drive a hard bargain for the people. Because of his immense holdings, Mr. Pace bore a
significant share of the school system costs through taxes. He was very interested in
eliminating waste and reducing that burden. Did he think that my father could make a worthwhile
contribution? Yes, he did. »He was standing over at one of the storage buildings with a bunch
of his men when I got there,« said Daddy that evening, »and I had to ask which one was Mr.
Pace. He had the suntan and muscles of a day laborer. We went into his office, and the more
I talked, the more interest he showed in me. He'll vote for me, and he'll use some influence
for me.«
By the beginning of February, my father had thus secured the support of five of the most
influential men in the county. One very important personage, Editor Dodge Whidden of the
County newspaper, would surely favor Alton Morris. Daddy now faced the formidable task of
approaching the general electorate and attempting to win the votes of more than half of their
number. He was unknown and unaccepted by the average voters and would have to campaign
day and night until the May 4th democratic primary in order to even have a chance. The winner of
that primary was automatically elected because the Republican Party was practically non-existent
in Heartland County in 1948. Dr. Moseley, Colin Grigsby, B. T. Hemmings, Bryant Cole
and Lamar Pace could occasionally eliminate pockets of resistance through their influence, but my
father would have to create a general movement in his direction by contacting and convincing
a massive amount of voters.
It was a difficult and disheartening campaign from the very beginning. Most of the people outside
of the school system did not know my father, and a large number of those that did, knew him as that
»out-of-County man«. The persons who knew him best were his fellow educators. They
could say nothing on his behalf even if they so desired, however, because they would have to
fear the reprisal of the incumbent Superintendent.
By the beginning days of March and as a result of his initial efforts, one phrase describing his
prospects caught on and was repeated frequently. It was, »He doesn't have a dog's
chance.«
[...]


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