© Neue Sirene™



Luísa Costa Hölzl


Meine Stadt 2

Meine Stadt zersplittert in flachen Rechtecken auf Glanzpapier, zerstückelt durch das Gerede der Reisejournalisten.
Sie bereisen dich, bezwingen dich. Damals kamen die Kreuzritter und wollten dich säubern von dem maurischen »Ge-
sindel«, von jener süßen Luft und dem Wirrwarr der Gassen. Sie wollten aus dir eine Großstadt, eine eroberte Stadt
machen. Später kamen Katastrophen, und man legte dich in Prachtstraßen an. Aber die Gassen, Häuser, die oben
am blauen Himmel sich berühren, das Sprachgewirr, das singende Gejammer, das mußten sie alles lassen. Jetzt kom-
men Horden und wollen dich erneut bezwingen, schauen sich alles an, stecken ihre Köpfe durch die Fensterluken,
nennen die dunklen Ecken der Wohnküchen »Idylle« und abends hocken sie an der Hotelbar, auf rotem Plüsch, im
Hintergrund ein leichtes Jazz-Säuseln, und meinen, sie hätten die Stadt bezwungen. Und fliegen heim und erzählen,
diese Stadt sei exotisch, noch arabisch angehaucht, sie ginge unter im Verkehrschaos, hätte jedoch hübsche Cafés
und hübsche Mädchen und einen blauen Fluß und ein riesiges Kloster und so freundliche Menschen, hilfsbereite Taxi-
chauffeurs und so dreckige Straßen, aber das kann man beheben, die EU und so weiter. Und nach dem internationalen
Frühstück sammeln sie sich zu Herden, laufen von der Burg in die Kathedrale, aus der Antoniuskirche zum Kachelmu-
seum. Sie lassen sich das alte Kolonialreich erklären, flüchtig hören sie hin, weil sie mit ihren Kameras alles festhalten
wollen, und daheim wissen sie immer noch nicht, welche Sprache man in Brasilien spricht. Auf dem Tejo fahren die Schif-
fe, befrachtet mit Gütern oder mit Menschen, für die die tägliche Überquerung Mühsal bedeutet, weil sie von weither
kommen und sehr früh aufstehen müssen. Wie angenehm mitten in der Stadt: die Salzluft, die springenden Fische an der
Kaimauer, die Frauen mit den Kindern am Arm, sie huschen an roten Männlein vorbei, weil sie es eilig haben. Sie stehen
Schlange in der Früh, um billigeres Obst zu erwischen, aber die Milch kostet mehr als in Mitteleuropa, unabhängig von
der Tageszeit. Von den Wänden lächeln die Politiker und versichern der Bevölkerung, sie lebe in der bestmöglichsten
Welt, es ginge wieder aufwärts. Die Kreuzritter, in Shorts und Sandalen, steigen auf die frisch hergerichtete Fähre, sie
transportiert weder Schüler noch Arbeiter, sie fährt gemächlich dahin, um den Fremden die Stadt von der Flußseite zu
zeigen.

Meine Stadt am Fluß, weiß und blau, meinen Kindern nenne ich die Namen der Kirchen, der Türme und Paläste, der
modernen Gebäude, vom Fluß her versuche ich, meine Stadt zu entwirren.

Immer wieder versuche ich, meine Stadt, meine damaligen und jetzigen Wege zu entwirren. Eine Woche im Jahr wohne
ich daheim und doch nicht wie früher. Gehe durch die Straßen von damals, steige in die Tram, verschwinde in Buchhand-
lungen. Versuche die Luft aufzuspüren, die Gesichter zu erkennen. Meine blaue Stadt vom Fluß her betrachtet, bleibt Ku-
lisse. Blaue Kulisse meines Winters.


Hauptmenü Inhalt aller Ausgaben Aktueller Band Digitale Ausgaben zum Herunterladen Presse Konzeption Autoren Kunstfotografien Termine Email/Webimpressum Anzeigen Bestellung