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Eva Kirchner



»Burrrro!« oder Unterwegs in Südamerika

[...]

In Puno fragten wir alle uns wissensreich erscheinenden Einheimischen – Marktfrauen, Taxifahrer und
schließlich in sämtlichen Touristenbüros –, wo man denn bitte einen Esel, sprich »un burro«, kaufen
könne. [...]

Als der Regen aufhörte, riet uns der Mann, an der Tankstelle auf einen Bus nach Cusco zu warten,
der auch in Ayaviri hielt und hier durchkam. Tatsächlich sahen wir einige Busse vorbeibrausen,
aber keiner hielt an. Eine der Frauen, die an der Tankstelle arbeiteten und Blaumänner mit rotem
Aufdruck trugen, hatte wohl Mitleid mit uns und erklärte, dass sämtliche Busse von Puno
ausgebucht seien und man normalerweise nicht auf der Strecke zusteigen könne. Was sollten wir
machen? Ayaviri war noch 50 Kilometer entfernt, das würden wir an einem Tag niemals schaffen.
Zu unserem Glück hielt kurz darauf an der Tankstelle ein Laster mit riesiger Ladefläche an,
von der einige Indigogesichter auf uns herunterblickten. Kurz entschlossen lief ich zum Fahrer, der
gerade auftankte, und fragte ihn, ob er uns nach Ayaviri mitnehmen könne. »Si, dos Sol«, war
die Antwort ...
Als wir in einer Seitengasse einbogen, entdeckten wir etwas, das die Beschreibung von Ayaviri als
einer Ein-Hostel-Stadt in unserem Reiseführer Lügen strafte: Ein Luxushotel stand da und dahinter
noch eine ganze Reihe ordentlicher Hostels!

Die Nacht verbrachten wir komplett angezogen auf unseren Betten. Morgens früh um sieben sagten wir
der Señora Adieu und zogen in ein Zimmer mit Dusche. Den Tag über versuchten wir herauszubekommen,
ob nun am Samstag ein Viehmarkt sei oder nicht, es konnte uns aber keiner Auskunft geben, und so
blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Als wir es uns gerade auf einer Bank bequem gemacht
hatten, setzten sich auf einmal zwei kleine Mädchen neben mich und schmiegten sich an mich. Wo wir
herkämen, was wir arbeiteten und ob wir verheiratet seien. Dass wir nicht verheiratet waren, schockierte
sie, dass wir schon in Chile gewesen waren, war ihnen unvorstellbar, und dass die Karte für die 500
Kilometer Zugstrecke nach Peru 8 Dollar gekostet hatte, war wirklich »muy caro« (»sehr teuer«). Sie
selber waren noch nie Zug gefahren, Bus auch nicht, nur einmal Auto nach Puno. Aber später wollten
sie in Lima studieren – Medizin und Mathematik. Weiße hatten sie hier in der Stadt noch nie gesehen.
Wir aßen gemeinsam Brot mit scharfer Soße, und als sie weg waren, meinte Martin, ich hätte jetzt
sicher die erste ayavirische feministische Bewegung in Gang gebracht.
Später richtete uns ein Obstverkäufer schöne Grüße von seinem Freund, dem Pfarrer, aus, den er am
Morgen besucht hatte und der ihm unsere ganze Regen-Reisegeschichte erzählt hatte. Und am Abend
waren wir schon so stadtbekannt, dass uns Fremde auf der Straße ansprachen, ob wir schon einen Esel
gefunden hätten und wie viel wir gewillt wären zu zahlen.
Endlich wurde es aber doch Samstag: Als wir morgens aus unserem Hostel traten, war selbst unsere kleine
Straße vollgestopft mit Ständen, bloß einen Esel konnten wir wieder nicht auftreiben.
Fertig mit den Nerven, setzten wir uns auf den Marktplatz und überlegten, was nun zu tun sei. Aufgeben?
Eine letzte Chance sollte er noch kriegen, der Esel, und so lief ich hinüber zum Taxistand und stellte den
Umherstehenden die alte Frage. Ich bekam zwar zunächst keine rechte Antwort, aber als ich wieder bei
Martin war, kam ein besonders Gewitzter zu uns und meinte, er habe einen Freund, der wolle seinen Esel
verkaufen. So gingen wir mit ihm zu einer Gruppe von etwa 20 Männern, die uns erwartungsvoll anblickten.
Einer von ihnen wurde nach vorne geschoben, und ich fragte ihn: »Tiene un burro?« (»Haben Sie einen Esel?«)
Er grinste nur dümmlich, aber sein Freund schüttete uns mit einer Wortflut zu, die wohl bedeutete, dass er
natürlich seinen Esel verkaufen wolle. Wie viel er kosten sollte? Hundert Dollar, kam es einsilbig aus dem
Mund des Eselsbesitzers. Da standen wir nun. Hundert Dollar waren zwar nicht unbezahlbar, aber etwas
billiger hatten wir uns das Ganze nun doch vorgestellt. Also musste ich feilschen.
Alles, was ich tun konnte, war, Zahlen zu nennen und zu hoffen, dass der Redestrom des Freundes irgend-
wann versiegen würde und dass der Besitzer mal etwas anderes herausbringen würde als »Cien Dollares«.
All dem Palaver entnahm ich schließlich, dass Pedro, der Besitzer, den Esel nicht hier, sondern draußen auf
dem Lande hatte, und dass er bis zum nächsten Tag mit dem Tier nicht da sein könne. Die Gruppe war in-
zwischen noch größer geworden, und als wir dann losfuhren, um zu sehen, wo der Besitzer wohnte, waren
in unserer Begleitung fünf vollbesetzte Fahrradtaxis mit Neugierigen. Das Haus sah aus wie alle anderen hier,
grau und heruntergekommen, aber wenigstens wussten wir nun, dass der Esel tatsächlich nicht da war. Wir
gaben Pedro 10 Dollar und verabredeten uns für den nächsten Tag.
Kurz vor zwölf standen wir vor seiner Haustür, doch keiner öffnete. Eine Frau lehnte in einem Fenster im
Nachbarhaus und meinte, Pedro sei bei der Arbeit. Wir setzten uns etwas abseits vom Haus an den Straßen-
rand. Ich hoffte insgeheim, dass er gar nicht mehr auftauchen würde. Wir beide wussten ja nicht einmal mehr
genau, ob wir nun eigentlich einen Esel haben wollten oder nicht. Wir wussten ja nicht einmal, was so ein Esel
frisst. Wir beschlossen, nicht länger zu warten als nötig und gegebenenfalls den nächsten Bus nach Arequipa zu
nehmen.
Punkt zwölf aber bog eine Karawane um die Ecke, bestehend aus unserem Mann, einer Frau in traditionellen
Kleidern und einem Mädchen von etwa 12 Jahren. Der Mann führte ein beladenes Pferd, und etwas weiter
hinten tauchte eine alte Frau auf, die einen dicklichen, grauen Esel, der ab und an nieste, vor sich hertrieb.
»Cien Dollares« war immer noch alles, was Pedro hervorbrachte. Als wir ihm aber sagten, dass wir keine
Dollar bei uns hätten, und 200 Sol – was etwa 60 Dollar entspricht – alles wäre, was wir ihm geben würden,
nickte seine Frau heftig, und damit war die Sache abgemacht. Der Esel war mittlerweile an einem Grasbüschel
neben dem Haus festgebunden worden, und wir versuchten, seine Bekanntschaft zu machen. Doch er reagierte
weder auf Karotten noch auf Äpfel. Anfassen ließ er sich zwar, doch eine rasche Bewegung genügte, um ihn
zurückschrecken zu lassen. Unsere Habseligkeiten waren schnell in Säcke verladen, und mit sicheren Handgriffen
band die Großmutter sie dem Esel auf den Rücken. Das Mädchen half ihr dabei, unter dem Bauch des Esels kniend.
Die Familie redete kaum mit uns, einmal wandte die Mutter sich fast wütend an uns und meinte, warum wir nicht
einfach mit dem Bus gefahren wären. Und ich kam mir so vor, als hätte ich mich in etwas eingemischt, das uns
überhaupt nichts anging.
Wir sollten sofort mit dem Esel losziehen, um noch am gleichen Tag ein Stück von Ayaviri wegzukommen, falls
die Summe, die wir für den Esel gezahlt hatten, irgend jemanden zu sehr beeindruckt hatte. Das Haus von Pedro
lag am Stadtrand, um aber auf die Straße Richtung Cusco zu kommen, mussten wir auf die andere Seite der Stadt,
d. h. noch ein Stück durch bewohntes Gebiet. Die Frauen sollten uns bis dorthin begleiten.
Martin nahm also das Seil, das dem Esel um das Maul gebunden war, aber erst als die Großmutter dem Esel einen
kräftigen Schlag auf den Hintern gab, setzte er sich in Bewegung. Die Straße hoch ging alles noch gut, aber als wir
um die Ecke bogen und auf eine größere, asphaltierte Straße trafen, drängte er sich auf einmal heftig an den Straßen-
rand und wollte weder vorwärts noch rückwärts. Die Mutter nahm Martin das Seil aus der Hand, die Großmutter
schrie schrill und schlug auf den Esel ein. Der Esel setzte sich zwar wieder in Bewegung, aber alle zehn Meter wieder-
holte sich die Szene. Martin und ich standen reichlich dämlich daneben, während die zwei Frauen immer heftiger
auf den Esel einschlugen. Zwischendurch erklärten sie uns, dass seine Bockigkeit nur daran lag, dass er am Morgen
schon eine riesige Strecke gelaufen sei und er Asphalt nicht möge. Ja, später, wenn wir aus der Stadt draußen wären,
dann wäre er ein guter Esel, dann würde er gut laufen. Aber noch waren wir in der Stadt und am Stadtrand saßen Leute,
die das Schauspiel amüsiert beobachteten, und einer rief den Frauen zu, wie viel wir denn gezahlt hätten. Als der Esel
zum dritten Mal bockte, berieten wir uns auf Deutsch, ob es vielleicht nicht doch möglich wäre, diesen ganzen Esel-
kauf rückgängig zu machen, gerieten aber so sehr darüber in Streit, wer von uns das jetzt auf Spanisch vortragen sollte,
dass wir kaum bemerkten, dass die Frauen sich zurückgezogen hatten und dass wir auf einmal alleine mit dem Esel waren.
Wir kämpften uns noch den Rest der Straße hoch, und die Kommentare vom Straßenrand wurden immer lauter. Die
»Gringo«-Rufe schallten mir dermaßen in den Ohren, dass ich, als der Esel am vorletzten Haus bockte, in Tränen aus-
brach. Mir kam dieses Eselabenteuer auf einmal nur noch lächerlich vor. Statt der erhofften Sympathie, brachte man
uns Verachtung, bestenfalls Verwunderung entgegen. Wir hatten uns mit unserem »Back-to-the-roots«-Gedanken
den Einheimischen überhaupt nicht angenähert, im Gegenteil, wir waren noch viel eindeutiger Gringos geworden, weil
wir uns so bescheuert anstellten. Wir banden den Esel also erst einmal an Ort und Stelle, wie zuvor gesehen, an einem
Grasbüschel fest, und Martin war gerade dabei, mir gut zuzureden, als sich der Esel mit furchtbarem Gebrüll losriss
und einen kleinen Hügel hinuntergaloppierte. Martin hechtete ihm hinterher und bekam gerade noch das Seil zu fassen.
Noch nie habe ich einen Esel so schreien hören. Es klang so, als würde er Todesängste ausstehen und als sei seine
Lunge mit Wasser gefüllt, so dass jeder Atemzug rasselte. Zu zweit zogen und schoben wir ihn zurück, und uns beiden
war klar, dass wir restlos überfordert waren. Was, wenn er mit unserem ganzen Gepäck davongerannt wäre? Wir ban-
den ihm das Gepäck ab, und Martin lief zum Haus des Besitzers, um zu fragen, ob er vielleicht seinen Esel zurückhaben
wolle.

[...]


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