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Marianne Gradl-Grams

Krähenwinter

(...)
Klapp und klapp und klapp und klapp, das Geräusch des Holzes. Sonst ist es still. Die Stille des Winters, des
herabsinkenden Abends. Wären diese Holzscheite nicht, wäre der Hof ohne Leben. Dann gäbe es nur die Schreie,
das Gehopse und Geflatter der Krähen drunten am Weiher. Dort ist der Schnee schwarz gesprenkelt, das Schilf
geknickt.
Und noch immer schichtet das Knochenbündel Holz. Er blickt nicht auf, als die Alte heimkehrt und gleich darauf
das Licht in der Stube aufflammt, sein Schein durchs Fenster fällt. Sie zieht die Vorhänge zu, und der Lichtschein
durchs Fenster wird schwächer.
Er braucht gar nicht das Licht aus der Stube. Der Mond, ein klarer, fast voller Mond steht am Himmel, der Schnee
leuchtet. Es dringt genügend Helligkeit durch die Schuppentür bis vor zu dem mächtig angewachsenen Holzstapel.
Und draußen ist es so hell, daß sogar der Rauch aus dem Kamin einen Schatten wirft. Seit die Alte ihrerseits noch-
mals nachgelegt hat und das Essen auf dem Feuer steht, sind es regelrechte Schwaden, die über den Hof hinweg-
ziehen und sich um die vier Apfelbäume winden. Ganz oben in den Kronen, wo man trotz Leiter nur schlecht hin-
kommt, baumeln noch ein paar gefrorene Früchte.
Endlich ist er fertig, hat das letzte Holz verstaut und steht da, die Hände in den Hosentaschen, blickt hinauf zu den
Äpfeln und denkt: Das hat ihr auch nicht gepaßt. Lieber wär's ihr gewesen, ich hätt' mir den Hals gebrochen. Ach
was, er ist zu müde, um den Gedanken weiterzuspinnen. Er humpelt ins Haus, er ist hungrig.
Die Alte ist drinnen schon fast fertig mit Kauen. Wortlaus setzt er sich mit an den Tisch.

Später, in der Nacht, kann er nicht einschlafen. Die Knie tun ihm weh, wie verrückt, und in den Schultern zwickt es.
Er weiß nicht, wie er liegen soll. Das Bett knackt, die durchgelegene Matratze wackelt. Er spürt die Sprungfedern
in seinem Rücken, sie knirschen sogar. Knacken, Knirschen, Wackeln, Rumsen. Früher, lang ist's her, hat das ähnlich
geklungen, bloß lauter. Die Alte stöhnt. Er stöhnt auch. Die Alte stöhnt wieder, ungehalten. Jaja, denkt er, stöhn' du
nur. Wenn ich du wäre, würd' ich auch stöhnen. So ein Bauch drückt halt. Damals, als sie schwanger war, war sie
auch nicht dicker. Dick vom Essen, das sie mir nicht gönnt, lieber wird ihr schlecht, lieber gibt sie's ihren Hennenviechern.
Sie liegt jetzt auf der Seite, da drückt der Bauch weniger, mit dem Gesicht zur Wand, weg von ihm. Ihr Atem raschelt,
ihr Atem pfeift. Sie ist eingeschlafen.
Er liegt auf dem Rücken, eine Hand unter dem Kopf, die Knie angewinkelt. Er kann nicht schlafen. Er liegt da und grübelt.
Und über alles, worüber er grübelt, hat er schon hundertmal, tausendmal nachgedacht. Er lauscht. Nicht auf ihren Atem,
der geht ihn nichts an, der gleicht dem Ticken der Uhr, dem Pochen des Holzwurms in der Kommode, dem Kühlschrank,
wenn er drunten im Hausflur anspringt, brummt, sich wieder abschaltet. Er lauscht. Er lauscht auf das Vieh, das nicht mehr
im Stall steht, nicht mehr schnaubt, nicht mehr stampft, nicht mehr hustet, nicht mehr muht, nicht mehr mit den Ketten klirrt.
Er lauscht auf seinen Sohn, die Kinderstimme unter dem Fenster, wie sie lacht, wie sie singt, wie sie schluchzt, wie sie wim-
mert. Nur auf seine Schwester im Wasser mag er nicht hören.
Vollmond. Das Licht bricht durchs Fenster, der Bettpfosten mit der Kugel glänzt. Der Schrank steht so, daß der Spiegel
immer im Schatten ist: Er hat von jeher so gestanden, schon bevor er als Bräutigam seinen Fuß in diese Kammer setzte.
Denn sich spiegelndes Mondlicht macht krank, heißt es. Hat aber nicht viel genützt, denkt er. Oh diese Schultern, diese Knie!
Er bewegt sich, sie merkt nichts. Er wälzt sich auf die Seite. Kaum liegt er auf der Seite, werden die Schmerzen in der Schulter
unerträglich – also zurück auf den Rücken. Wenn er die Augen schließt, sieht er immer noch das Mondlicht auf dem Holzhaufen
draußen. Er sieht sich selber im Mondlicht, wie er sich bückt, aufrichtet, Scheit für Scheit, und seine Gelenke knacken. Das
Alter sticht. Sticht Scheit für Scheit, bis alles Holz gestapelt ist, drinnen im Schuppen, zwei Wände entlang. Auch ein Junger
würde da seinen Rücken spüren, denkt er mit Genugtuung. Ist doch noch zu was gut, er, der Austragler, der Eingeheiratete,
der Habenichts.
Wie still es ist. Der Wecker auf dem Tischchen. Der Holzwurm. Der Kühlschrank. Der Bub auf dem Friedhof. Das Vieh
im leeren Stall. Der Bub, der Bub. Das Mondlicht scheint durchs Fenster. Das Mondlicht im Hof, über den Wiesen, den
Bäumen, dem Weiher. Die Krähen haben ihre Schnäbel ins Gefieder gesteckt und scheinen zu schlafen, aber wer weiß.
Der Marder schleicht herum. Der Schnee am Boden funkelt. Der Marder wirft einen geschmeidigen Schatten, durchkreuzt
das Schattenbild der gefrorenen Äpfel.
Dunkel hebt sich der Schuppen ab. Der Mond drückt gegen die Wände. Er, der Austragler, der Eingeheiratete, der Habe-
nichts, liegt im Bett, hört, wie die Bäuerin neben ihm keucht, den Atem ausstößt, einen abgrundtiefen Seufzer – und da, was
ist das? Ein Grollen, ein anwachsendes, Trampeln, Stampfen, – Huf auf Huf! Mit einem Ruck setzt er sich auf, allmächtiger
Himmel!
Klapp und klapp und klapp und klapp hallen ein paar letzte kollernde Scheite nach, bevor auch sie auf dem Boden im Schup-
pen wieder zur Ruhe kommen.
"Hätt's mich doch gewundert, wenn du einmal was richtig machst", höhnt, kaum daß es wieder still ist, die Alte. "Aber sogar
um den Schlaf bringst du mich."


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