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Ismet Elçi

Meine Stadt

Die seltsame Begegnung der Berliner Art

[...]

In »einem fast wiederholten Wiedersehen«, als die Mauer in der geteilten Stadt Berlin abgerissen
wurde und die Straßen und Gebäude ineinander übergingen und die Zeit verging, lernte Gül die
deutsche Sprache und Geschichte gut. Und der junge Mann aus dem gegenüberliegenden Gebäude
suchte eines Tages die alten Spuren der Kreuze, die Güls Mutter auf jedem Wohnhaus angebracht
hatte. Nachdem er erneut Güls Wohngebäude anhand der Zeichnungen entdeckt hatte, kam der
junge Mann mit einigen gleichaltrigen Männern zurück, und sie warteten auf Güls Betreten und
Verlassen des Gebäudes. Sie begegneten sich nun erneut, voller Freude erkannt Gül ihn, jedoch
zeichnete sich Angst auf ihrem Gesicht ab, als sie weitere Skinheads sah. Der junge Mann erklärte,
dass die Zeiten der »Gastarbeiter« vorbei seien, ein wiedervereinigtes Deutschland existiere. Ihre
Mutter solle anhand der Zeichnungen den Weg nach Anatolien suchen. Er hasse nämlich alle
Schwarzköpfe und blickte dabei Gül an. Sie jedoch schaute ihn freundlich an und lächelte ihm voll
Liebe zu. Sie sagte ihm, dass er nach Antworten suchen solle, warum er Ausländer hasse. Und
der junge Mann blieb stehen, erst kleinlaut, dann immer lauter werdend, stellte sich die Frage, was
Hass bedeute. Als er eine Antwort fand, da tauchten erneut neue Fragen auf, die immer zahlreicher
wurden, und er versuchte, sie alle zu beantworten. Und so schrie er erneut, nochmals laut werdend,
entschuldigte sich zum tausendsten Mal, er werde nie wieder hassen, nur zu verstehen versuchen,
und dann werde er sie lieben. Sie nickte und er fragte, ob sie ihn heiraten möchte, und sie heirateten
und liebten sich auch tausendmal und bekamen Tausende von Kindern. Die Kinder wuchsen heran
und wischten erst die Zeichnungen auf sämtlichen Gebäuden Berlins ab, die Güls Mutter und andere
Ausländer angebracht hatten, um ihren Weg zu finden. Die Kinder entdeckten dann viele Bücher von
einem alten Mann, der damals vor der Mauer stand und die Frage von Gül, als sie das Tor in der Mauer
suchte, nicht beantworten konnte, obwohl er vieles über die Mauer geschrieben hatte. Die Kinder
kannten nun die Geschichte der Mauer und lernten außerdem Zusätzliches. Sie schworen alle zusammen,
dass nie wieder eine Mauer durch die schöne Stadt Berlin und nie wieder Zeichnungen auf Gebäuden
gemacht werden würden, so sehr investierte die Stadt in das Bildungswesen der Ausländer, wenn sie
nach Deutschland zum Arbeiten kommen mussten. Alle waren glücklich und freuten sich.


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